Tag 5
Heute beginnt der zweite Abschnitt unseres diesjährigen Trips. Wir freuen uns auf Hochland, F-Straßen und Wasserdurchfahrten. Letztere gibt´s sogar als wir uns über die Straße 690 auf den Weg machen. Wohl auch deshalb begrüßt uns zu Beginn dieser herrlich einsamen Straße ein Hinweisschild mit einer 4x4-Empfehlung. Sie führt uns durch ein solch enges Tal, dass dieses trotz durch die Wolkendecke drückende Sonne im Schatten versinkt. Als wir wieder am Meer ankommen, ändern sich die Sichtverhältnisse schlagartig. Wolkenlos blauer Himmel und ein Fernblick bis zum Langjökull prägen nun das Bild. Der Gletscher könnte als Orientierung dienen, um unser heutiges Tagesziel in der Nähe Husafells zu erreichen. Etwas langsamer als gedacht kommen wir voran, geht es doch gelegentlich auf Schotter einige Höhenmeter rauf und runter. Wahrscheinlich deshalb gehen mir bei Auffahrt auf die Ringstraße für sechs Sekunden die Pferde durch und ich lasse den Jeep ungezügelt auf 90 km/h galoppieren. Nach den Erfahrungen der letzten Tage fühlen sich die 30 Kilometer nach Hvammstangi wie Autobahn an. Dort angekommen gehen wir unserer Lieblingsbeschäftigung nach. Nachdem wir in der Post einige schöne Postkarten bekommen, geht es in die Wollfabrik. Ohne jemals hier gewesen zu sein, kommen uns einige Motive vertraut vor. Dem Online-Versandhandel sei Dank trage ich doch nichtsahnend eine Mütze von hier, die mir Madame zum Geburtstag geschenkt hat. Die Dame an der Kasse ist erfreut darüber, konnte sie unser Getuschel doch sofort verstehen. Wir Plaudern etwas mit der netten Deutschen, die zugleich Chefin der Fabrik ist. Anschließend laufen wir durch die Produktionshalle, nicken und grüßen freundlich und verlassen den Laden natürlich nicht mit leeren Händen. Nun geht es zum Kolugljufur. Während auf der Ringstraße mehr Verkehr als auf der A71 herrscht, ist man hier 10 Kilometer abseits nahezu allein. Lediglich zwei selfie-schießende Grazien, die an der Fallkante der zahlreichen Rinnsale turnen, sind einfach nicht aus dem Bild zu bekommen.
Nachdem wir sie uns einfach wegdenken, sind wir zufrieden und machen uns weiter südwärts.
Es werden die letzten Menschen sein, die wir in den nächsten Stunden zu sehen bekommen. Denn genau hier steigen wir ein in die westlichen Ausläufer des Hochlands. Während uns Anfangs einige Schafsgatter etwas Abwechslung bieten, fahren wir fortan durch eine karge, schier endlose Landschaft. Ein Geduldsspiel bei teils ruppigen Untergrund. Von den zahlreichen Seen und Wasserdurchfahrten, die die Karte zu versprechen mochte, ist keine Spur. Es scheint als zollt die Gegend dem trockenen Sommer Tribut. Dennoch gibt es hin und wieder Lichtblicke. Etwas Wollgras hier, ein Schaaf da und der Langjökull in der Ferne sowieso.
Und so treibt es den Punkt auf dem Navi langsam aber stetig voran bis wir auf die Ost-West-Verbindung zwischen F578 und F35 treffen. Zwar wird auch hier nicht höher als in den zweiten Gang geschalten, aber wir merken anhand der Spuren, dass die Verkehrsdichte hier höher ist. Und so dauert es nicht lange bis ein roter Punkt am Horizont auftaucht- ein Iveco Daily. Der mürrisch daherschauende Fahrer lässt uns freundlich vorbei. Wenig später erreichen wir den Rettarvatn, wo es durch eine unscheinbare Furt geht. Kaum länger war sie doch mindestens so tief wie eine randvolle Badewanne- ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Unmittelbar nach der Unterbodenwäsche entdecken wir ein Grassodenhaus am Wegesrand. Da wir unseren roten Verfolger noch nicht abschütteln konnten, wollen wir nicht als Hindernis auf dem einspurigen Track auffallen. Wir fahren ohne Stopp weiter und bereiten uns mental auf die nächste Prüfung vor- die Durchquerung der Nordlingafljot. Besonders Madame hat nun einige Kilometer Zeit sich mit dem 30 Meter breiten Fluss anzufreunden, der uns nicht mehr von der Seite weicht. Habe ich mir gelegentlich vorgestellt, wie es ist vorm ersten richtigen Fluss zu stehen, schleppt sie den Gedanken mindestens den ganzen Tag schon mit sich rum. Habe ich ihr immer gesagt, dass wir notfalls umdrehen, hat sie auch begriffen, dass es dann eine Nachtschicht gibt. Und so stehen wir nun da am Fluss.
Ich steige aus, stelle meine meterfünfundsechzig auf einen großen Fels und nicke ihr, mir und dem Publikum auf der Gegenseite selbstsicher zu. Aufgeregt steige ich ein, lege alle Hebel um und fahre in störrischer Ruhe durch das Wässerchen. Obwohl es sich leicht tanzend bis leicht treibend anfühlt, fühle ich auf den ersten Metern, dass sie fühlt, dass ich fühle, dass wir es schaffen. Drüben angekommen lass ich mich vom einzigen Zuschauer feiern. Er lobt das geringe Tempo und zeigt mir genug Fotos um daraus ein Daumenkino zu machen. Er selber tut das, was ich auch am drittletzten Tag einer dreimonatigen Islandtour machen würde und dreht mit seinem Pickup-Camper um. Freundlicherweise lässt auch er uns den Vortritt, damit ich mich noch etwas austoben kann. Wir lassen die Höhlen rechts liegen, treffen den versteinerten Hraunakarl, verzichten auf alte Bekannte namens Hraunfossar und Barnafoss und checken im Hotel-A ein.
Wir legen uns bei herrlichen Sonnenschein noch ein bisschen aufs Gras vorm Hotel um Postkarten zu schreiben und genießen bei tollem Blick in das Tal der Hvita ein leckeres Abendessen.