17.06.2015 – Reykjavik – Isländischer Nationalfeiertag
Wir sitzen noch beim Frühstück, als um 10 Uhr alle Kirchenglocken in Reykjavik läuten. Das soll jedenfalls so sein, denn hören können wir sie nicht. Das offizielle Programm des Nationalfeiertags ist somit eingeläutet. Wir machen uns dann auch auf die Socken um pünktlich um 11 Uhr am Austurvöllur zu sein. Hier findet die Zeremonie zum Nationalfeiertag statt. Der Platz ist abgesperrt, aber wir finden trotzdem ein Plätzchen, von wo aus wir gut gucken und hören können.
Etliche Medienvertreter von TV, Rundfunk und Printmedien sind vor Ort und der Platz wird von zahlreichen Polizisten bewacht. Ein Kamerateam von RÚV macht dann auch einen Schwenk hinüber zu uns Schaulustigen. Diese Szene wird scheinbar tatsächlich gesendet, denn ich finde sie nach der Reise auf der Internetseite von RÚV, wo eine kleine Zusammenfassung veröffentlicht wurde. Und wenn man gleich zu Beginn gaaaannz genau guckt… Svona var mótmælt á Austurvelli | RÚV
Sobald alle geladenen Gäste ihren Platz im Pavillon eingenommen haben, singt der Mótettukór Hallgrímskirkju (Chor der Hallgrímskirkja) “Yfir voru ættarlandi“. Danach legt Präsident Ólafur Ragnar Grímsson einen Kranz an das Denkmal von Jón Sigurðsson nieder.
Der Mótettukór Chor singt die Nationalhymne. Es folgt eine Ansprache des Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson. Der Chor der Langholtskirkja singt “Hver a ser fegra föðurland“. Fjallkona (Die Bergfrau) rezitiert im traditionellen Bergfrauenkleid, ein Gedicht.
Zum Abschluss spielt die “Arbeiter“ Blaskapelle “Vil elska mitt Land“ und weitere Stücke.
Die Zeremonie wird während der gesamten Zeit von Demonstrationen begleitet. Es wird gebuht, getrommelt, und mit Trillerpfeiffen und Schlüsselbunden Lärm verursacht. In Deutschland wäre das wohl kaum möglich. Man hätte mit Sicherheit eine Bannmeile gezogen und sog. Störer “entfernt“. Insofern finde ich den Umgang mit der freien Meinungsäußerung hier in Island gut. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob man auch bei der Kranzniederlegung lautstark demonstrieren muss. Ich fand es an dieser Stelle unangemessen. Dennoch war es mal schön, dieser Zeremonie beizuwohnen und ich möchte mich als Tourist, nicht in die (politischen) Angelegenheiten der Isländer einmischen.
Für den weiteren Tagesablauf haben wir keinen festgelegten Plan. Wir wollen uns treiben lassen und mal gucken, was hier in Reykjavik heute so los ist. Überall stehen (Verkaufs)-Büdchen oder Zelte mit unterschiedlichen Sachen. Was mir auffällt, ist, dass viele Kinder einen großen bunten Lolli in Schnullerform schlecken. Ich guck ja irgendwie neidisch und meine Frau ist drauf und dran, mir einen zu kaufen. Aber nee, das ist mir dann doch zu peinlich. Viking Metal hören und dann einen Schnuller in die Visage schieben? Mein Standing wäre schlagartig komplett im Eimer.
Wo war ich? Ach ja. Überall ist es darüber hinaus in den Landesfarben geschmückt und beflaggt. Wir schlendern so durch die Gassen und treffen immer wieder auf Frauen in der traditionellen isländischen Tracht. Die gefallen mir sehr gut (die Trachten natürlich!) und sogar einige Teenager sind so gekleidet. Finde ich irgendwie schön.
Wie von Zauberhand geführt, stehen wir urplötzlich vor der Hot Dog-Bude Bæjarins Beztu schräg gegenüber von Kolaportið. Och, wenn wir schon mal da sind… Uns schmeckt dieses Würstchen in den labberigen Brötchen samt Dressing und den weiteren Zutaten, einfach gut, egal was Spötter sagen. Man muss ihn aber hier am Hafen und im Stehen schnabulieren, um sämtliche Sinne und Geschmacksnerven zu stimulieren. Und natürlich dran glauben, dass das der beste Hot Dog der Welt ist. Wie ich gehört habe, soll der Brötchenlieferant demnächst wechseln. Ich ahne Schlimmes…
Apropos Kolaportið. Das Gebäude, in dem an Wochenenden der skurrile Flohmarkt stattfindet, hat auch heute geöffnet. Wir schauen mal rein, kaufen aber nichts. Auf dem Weg ins Harpa, sehen wir ein paar alte Autos vorbeifahren. Der Oldtimer Club von Island fährt im Konvoi durch ein paar Reykjaviker Straßen. Wir sehen die antiken Vehikel später vor dem Harpa, wo sie parken und begutachtet werden können.
Leichter Nieselregen begleitet uns nun schon seit geraumer Zeit und so kommt ein Besuch im Harpa ganz gelegen. Hier ist heute sehr viel los und überall stehen Hinweistafeln mit bevorstehenden oder bereits beendeten Veranstaltungen. Wir setzen uns aber erstmal um die Ecke und gucken auf die Bucht. Dort vor der Küste der Sæbraut, findet der 17. Juni Segelwettbewerb statt. Einfach nur aufs Wasser gucken, kann ich ja stundenlang und als wir dann auch noch von irgendwo her handgemachte Musik hören, wird es richtig gemütlich.
Nun gut, wir sind hier nicht zum faulenzen und so bewege ich mich etwas widerwillig in Richtung Ausgang. Wir gucken von oben herunter und sehen die Musikquelle unten im “Foyer“ spielen. Drei Mädels mit Akustikgitarren und Keyboard spielen ihr letztes Lied.
Danach kommt eine fünfköpfige Blaskapelle die klassische Stücke auf ihren Instrumenten zum Besten gibt. Gerade als wir gehen wollen, spielen sie ein Stück, das auch das Trans-Siberian Orchestra im Repertoire hat. Wir bleiben wie angewurzelt stehen und können es kaum fassen. Dann verlassen wir das Harpa aber wirklich, denn musikalisch kann es kaum noch besser werden.
Es nieselt noch immer, aber mittlerweile stört uns das kaum noch. Nächstes Ziel soll die Hallgrímskirkja sein. Wir pilgern die Skólavörðustígur hinauf und biegen oben angekommen erstmal rechts ab um den Skulpturengarten des Einar Jónsson Museums mit unserer Anwesenheit zu beglücken. Nachdem sich zwei Betrunkene Briten verdünnisiert haben, können wir die wirklich schönen Skulpturen bewundern. Ich lasse es mir dann auch nicht nehmen, alle 21 zu fotografieren.
So, nun wird es aber Zeit. Zeit für das Orgelkonzert und der Andacht zum Nationalfeiertag in der Hallgrímskirkja. Pfarrer ist Sigurður Árni Þórðarson und der Organist heißt Hörður Áskelsson. Das Orgelkonzert ist großartig und die 5275 Pfeifen klingen unglaublich. Mal zwei Zahlen dazu: Die Orgel wiegt bei einer Höhe von etwa 15 Meter, satte 25 Tonnen und wurde von Johannes Klais Orgelbau in Bonn erbaut.
Die nachfolgende Andacht wird natürlich in Isländisch gehalten und so verstehen wir nicht viel. Der Pfarrer bietet den ausländischen Gästen aber an, Fragen in Englisch zu beantworten um so mehr über die Hallgrímskirkja usw. zu erfahren. Ein, wie ich finde, sehr freundliches Angebot.
Wir laufen die Frakkastígur bis zum Laugavegur hinunter und steuern zielsicher den Bonus an, der auch heute geöffnet hat. Danach kaufen wir noch fehlende Postkarten und gehen erstmal zum Hotel zurück. Nachdem wir etwas gegessen, getrunken und die sanitären Einrichtungen aufgesucht haben, lassen wir es uns nicht nehmen, noch mal einen Streifzug durch die Gemeinde zu machen.
Im Harpa wird langsam abgebaut und vor der Bühne, in der Nähe des Denkmals für König Christian IX, ist es auch merklich leerer geworden. Es spielt eine Nachwuchsband Songs, die mich entfernt an die Band Europe erinnern. Gar nicht schlecht! Fast überall beginnen nun die Auf- und Abraumarbeiten und die Feierlichkeiten verlagern sich in die zahlreichen Cafés und Kneipen.
Mit runden Füssen, landen wir schließlich irgendwann am Hotel. Da wir bereits morgen Vormittag auschecken, wollen wir schon mal mit dem Kofferpacken anfangen. Das ist nicht schön, weil es uns daran erinnert, dass die Reise nun zu Ende geht, aber immerhin haben wir noch den kompletten morgigen Tag. Ich genehmige mir den letzten flüssigen Absacker und trete den Matratzenhorchdienst an. Skál og góða nótt!
Fortsetzung folgt…