Tag 3
In dieser Nacht sorgte ein magisches grünes Licht am Himmel für temporäre Schlaflosigkeit, die man gerne in Kauf nimmt. Es waren die angekündigten Nordlichter zu sehen. Am Vorabend mit Faktor 5 von 9 auf der Vorhersageskala malten wir uns bei wolkenlosen Himmel Chancen aus dieses Phänomen zu bestaunen. Also stellten wir den Wecker spontan auf Mitternacht. Geklingelt-geguckt- nichts-Wecker auf um eins gestellt-wieder nichts. Da aller guten Dinge bekanntlich 3 sind, flüstere ich um 2 Uhr mit mindestens 80 Dezibel: „Schatz, Schatz Nordlichter!“. Während der Himmel tanzt und glüht, schwinge ich mich in die volle Montur, schnappe das vorbereitete Fotozeugs und mache mich nach draußen. Madame bleibt in der Komfortzone und genießt am Fenster. Zunächst sind die Lichter fern im Süden, dann direkt über mir. Ich mache ein Foto nach dem anderen. Mal 8 Sekunden, mal 15 Sekunden Belichtungszeit, jedesmal eine Ewigkeit bis zum nächsten Schuss. Ich versuche mich zu konzentrieren und hoffe, dass ich alles richtig mache, denn schließlich bin ich Anfänger.
Nicht wissend ob es später gut aussieht, schließe ich irgendwann den Objektivdeckel und speichere zur Sicherheit noch minutenlang die Eindrücke, die sich durch meine zwei Linsen auf meine Festplatte brennen. Klein fühle ich mich in diesem Moment, erdrückt vom Schauspiel, was sich mir bietet. Gegen drei Uhr verabschiede ich mich vom Tanz und gehe zurück aufs Zimmer. Etwas verschlafen öffnen wir morgens die Augen. Die Ereignisse der letzten Nacht lassen Realität und Traum verschwimmen. Wahrscheinlich deshalb sitzen wir etwas sprachlos beim Frühstück, schlemmen uns durch die Vielfalt und fahren Richtung Dynjandi los. Sofort merkte man, dass heute der Tag-der-überquerten-Pässe werden sollte. Sind wir erstmal mit ausreichend Schwung oben angekommen, bietet sich uns bei der Abfahrt meist ein traumhafter Blick in den nächsten Fjord. Besonders einprägend ist dabei die Überfahrt in den breiten Arnarffjördur mit seinen zahlreichen Verästelungen. Nach einigen Kilometern am Meer entlang, geht es über die hochgelegene Dynjandisheidi zum wohl namensgebenden Wasserfall. Es ist der Wasserfall, der wohl eher den dafür ideal geformten Fels runter läuft als fällt. Ganz weich und unten breiter als oben. Ob mit ein paar kleineren Wasserfällen im Vordergrund oder alleine, ist er ein Traummotiv und so beschließen wir ausnahmsweise das Stativ aufzubauen. Gerade ausgestiegen beginnen wir trotz eisigem Wind sofort eifrig nach dem besten Bildausschnitt zu suchen.
Stück für Stück kraxeln wir die Natursteintreppe hinauf und wiederholen das Spielchen. Verschiedenste Blickwinkel und Einstellungen haben uns vergessen lassen, dass die Fingerkuppen kurz vorm erfrieren sind.
Irgendwann kehren wir um. Der Wind der uns zuvor den Berg hochgedrückt hat, sorgt nun mit seinen starken Böen dafür, dass der Abstieg leicht wackelig verläuft. Ich nehme mir noch die Zeit einer Dame den Gefallen zu tun, sie mit ihrem Smartphone vorm Wasserfall abzulichten. Das Ergebnis lässt mich daran zweifeln, wofür wir die ganze Mühe getrieben haben, wenn´s auch mit so einem Ding in „schön“ geht. Während wir am Auto sind, kommt ein Reisebus und mehrere Superjeeps an-Zeit zum losfahren in weitaus einsamere Gegenden. Eine besonders verlassene Region ist der Abschnitt zwischen Hrafnseyri und Pingeyri, wenn man die Straße 622 fährt. Die Fotos und Geschichten, die ich bei der Recherche abspeicherte, versprachen kein Kinderspiel für diesen Abschnitt. Von „keine Ausweichmöglichkeit bei Gegenverkehr“ bis „ nur bei Ebbe fahrbar“ reichten die Aussagen. Da diese Voraussetzung erfüllt war, machen wir uns rauf auf die Piste, die uns mit zwei Furten/ Fützen begrüßt. Vorbei an einzelnen Höfen, die durchaus auch bewohnt waren, kommen wir zu einer oft erwähnten Schlüsselstelle. Zwar ist der Kiesel unter unseren Rädern kindskopfgroß aber die isländische Straßenmeisterei hat hier gute Dienste geleistet. Als wir gerade über das zu durchfahrende Felsentor staunen wollen, mache ich eine Vollbremsung, sichere das Auto und springe mit Kamera unauffällig aus dem Auto. Schnell hat auch meine Frau mitbekommen, was ich gesehen habe. Zwischen den Felsen am Meeresrand hüpft ein Polarfuchs mit einem Snack im Maul rum. Ich schieße den kleinen mit meiner Kamera ab ehe er die Flucht ohne Beute ergreift.
Mit schlechten Gewissen setzen wir die Weiterfahrt fort und hoffen, dass er das tote Federviech wiedergefunden hat. Im weiteren Verlauf begegnen wir einigen Entgegenkommern ohne dabei ins Schwitzen zu kommen. Auch die Steilhänge links zum Meer und recht zum Berg verursachen keine Platzängste und so kommen wir mit ruhigem Puls in Pingeyri an. Dieser steigt jedoch beim Gedanken an das fürs Mittagessen vorgemerkte Café an. In freudiger Erwartung betreten wir einen proppevollen Laden. Etwas hilflos, nach Orientierung ringend, stehen wir einige Minuten im Eingangsbereich ehe uns 4 nichtssagende Kellner zu verstehen geben, dass hier heute kein Platz für uns ist. Das lassen wir uns nicht zweimal „sagen“, ergeben uns der Busladung und ziehen ab. Dann eine Schnappsidee: „lass uns zum Kvennaskard-Pass hochfahren und schauen, ob Wetter und Zeit es zulassen den höchsten Berg der Westfjorde, den Kaldbakur, zu besteigen.“ Kriechgang bei der Hochfahrt und tiefhängende Wolken sorgen dafür, dass wir am Pass angekommen lediglich ein Schnittchen essen, bevor wir uns wieder talabwärts begeben. Der Plan, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, kostet uns entscheidende Minuten um in Isafjördur vor Ladenschluss beherzt shoppen zu gehen. Die Hälfte der Geschäfte ist nach 17 Uhr nur noch geöffnet, die Ausbeute ist trotzdem maximal. Auf den letzten 130 Kilometern zu unserer Unterkunft in Heydalur werden wir kontinuierlich schneller. Getrieben von einer inneren Unruhe haben wir das Gefühl zu irgendwas zu spät zu kommen. Es ist wohl eine Scheinhektik, die ansteckend ist. Als wir den Schlüssel zu unserem vorgebuchten Zimmer selbstverständlich ausgehändigt bekommen, fallen vorallem Steine von den weiblichen Schultern neben mir ab. Vorm Schlafengehen gehen wir mit einem der Hofhunde spazieren und ziehen ein paar Bahnen im Gewächshaus.