Liebe Community
Letzten Monat bereiste ich 21 Tage lang Island, völlig alleine. Es war meine erste solche Reise und auch die längste bisher völlig auf sich gestellt. Ich will meinen Erfahrungsschatz mit euch teilen und fange nun mal an mit dem ersten Teil, den ich schon einige Zeit vor der Reise verfasst habe.
Viel Spass beim Lesen!
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LINK aufgrund zahlreicher Beschwerden entfernt! (Admin)
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Teil I: Einleitung und erste Vorbereitungen
Fussball und Bankenpleite
Island verknüpfte ich als Kind eigentlich bloss mit Eiður Guðjohnsen, einem isländischen Fussballspieler, welcher eine Zeit lang als Stürmer mit wuchtigem Abschluss vor dem Tor beim FC Barcelona spielte. Etwas später dann mit der Pleite des Bankensystems, welche weltweit für Aufsehen sorgte.
Ansonsten setzte ich mich nie mit dem Land auseinander. Mein Interesse wurde geweckt, als ich auf den Film „Heima“ der isländischen Band Sigur Rós stiess. Dieser handelt davon, dass die Band nach einer Welttournee in ihre Heimat zurückkehrt und da einige spontane Gratiskonzerte gibt. Der Film inszeniert nicht nur die Band absolut verblüffend, er zeigt auch die unglaubliche Schönheit deren „Heima“, also ihres Zuhauses. Karge Lavawüsten werden durchkreuzt von reissenden Flüssen, alte Torfgebäude unter dem Boden umgeben von saftig grünen Wiesen, auf denen seelenruhig Schafherden grasen, verlassene Fischfabriken, gelegen vor malerischen Küsten. An einem anderen Ort das krasse Gegenteil: Riesige Eisfelder und keinerlei Anzeichen von vorhandenem Leben. Dampfende Quellen, hochspritzende Geysire. Einsam in der Brandung stehende Leuchttürme und im September das faszinierende Polarlicht. Die Kleinstadt Reykjavik mit ihren Bunten Häusern - Island ist an Kontrasten, welche teilweise geradezu grotesk wirken, kaum zu überbieten.
Durch die kurze Distanz bis zum Nordpol wird es im Sommer nie wirklich dunkel und im Winter nur wenige Stunden hell. Oft finden an einem Tag vier Jahreszeiten statt, Regen kann sich mit blauen Himmel und Sonnenschein abwechseln, während ein schwerer Schneesturm bloss einige Stunden entfernt liegt. Diese Umstände sind für einen Mitteleuropäer doch ziemlich schwer nachvollziehbar.
Island ist eine Vulkaninsel, auf der Beständigkeit ein unbekannter Begriff ist. In ihrer Vergangenheit erlebte das Volk mit norwegischer Abstammung schon diverse Naturkatastrophen wie Erdbeben oder verheerende Vulkanausbrüche. Letztere können jederzeit wieder auftreten. Zuletzt sorgte der Ausbruch des Eyjafjallajökull für ein gigantisches Chaos im Flugverkehr, tausende Flüge mussten annulliert werden wegen der ausgetretenen Vulkanasche.
Lange unterjocht vom dänischen Reich, fand Island den Weg zur Unabhängigkeit und somit auch zur Modernität erst vor etwas mehr als einem Jahrhundert bei der Vergabe einer eigenen Verfassung.
Inzwischen ist die Modernisierung in vollem Gange, der heutige Isländer strebt nach Materialismus wie die Menschen aus restlicher Welt auch, vielleicht gar etwas mehr, denn der Besitz mehrerer Autos und einem Camper ist üblich und wird als ultimatives Statussymbol angesehen, Wohnungen werden nicht gemietet, sondern praktisch nur gekauft. Viele Jugendliche vertreiben sich die Langweile, indem sie in Auto-Korsos stundenlang ohne Ziel auf der Ringstrasse herumfahren.
Die grosse Lust der Isländer an Investitionen machte sich durch astronomische Kreditvergaben der Banken bemerkbar und dann später an der grossen Pleite der Banken. Die Isländer scheinen ein besonderes Volk zu sein, welches mit unanfechtbarem Stolz zu seinem Land, dessen Vegetation und vor allem auch zu seiner Sprache steht, sich auf europäischer Bühne nicht in die Schranken weisen lässt und bekannt ist für die enorme Gastfreundschaft. 90% der Isländer glauben an Zauberwesen wie Elfen und Trolle glauben. So kommt es vor, dass Strassen teilweise unlogische Verzweigungen machen und ein Gebiet ganz bewusst umranden, um die darauf wohnenden Wesen nicht zu stören.
Die Begeisterung für Island
Mich begeistert mich dieses Land ungemein. Als passionierter Fotograf sehe ich natürlich auch die Chance, eine einmalige Bildserie zu kreieren. Motive dafür sind in einer überwältigenden Anzahl vorhanden. Die Vorstellung, einfach drei Wochen lang alleine unterwegs zu sein, mein gesamtes Hab- und Gut in einem einzigen Rucksack verstaut löst bei mir ein angenehmes Kribbeln aus und definiert auch meine Vorstellung von zukünftigen Reisen. Durch das Land wandern, seine Beschaffenheit zu fühlen, zu hören, zu sehen, sich mit der Natur zu verbinden, fernab von der Zivilisation.
Obwohl ich so etwas eigentlich noch nie gemacht habe, fühle ich, dass es das Richtige für mich ist und mir gefallen wird. Ganz schön naiv und verträumt, was?
Seit dem Entscheid, im Juni 3 Wochen nach Island zu reisen vergingen nun 6 Monate. Es verbleiben noch 40 Tage, bis ich nach einem mehrstündigen Flug im nördlichsten Land Europas meinen Flieger verlassen werde, komplett auf mich gestellt. Bis vor kurzem wiegelte ich mich noch in packende Vorstellungen über meine bevorstehende Reise. Nach wie vor freue ich mich ungemein.
Inzwischen sind aber Zweifel aufgekommen. Seit mehreren Wochen liegt eine Island-Karte ausgebreitet auf dem Parkettboden meines Zimmers. Natürlich habe ich sie studiert, selbstverständlich habe ich mir einen Überblick verschafft über die Insel. Verglichen mit der Schweiz besitzt Island eine zweieinhalb mal grössere Fläche, jedoch bloss ein fünfundzwanzigstes der Bevölkerung.
Während der Schweiz also durchschnittlich 182 Menschen pro km2 wohnen sind es in Island bloss 2! Diese Zahlen sind äusserst beeindruckend und widerspiegeln wohl auch, wie trostlos dieses Land sein wird. Trotzdem fällt es mir schwer, mir das alles vorzustellen.
Durch die intensive Beschäftigung mit meiner Ausrüstung verlor ich die präzise Planung des Reiseablaufs nämlich praktisch komplett aus den Augen.
Ich schaffte mir Trekking-Schuhe an, ein Expeditionszelt, einen Trekking-Rucksack und einen Schlafsack mit Komfortzone bis -10°C, Karte und Reiseführer, jedoch nicht das nötige Wissen, wie meine 21 Tage überhaupt verbringen werde.
Laugavegur, was sonst?
Trotz allem fand ich dann eine äusserst attraktive Route. Vom Busterminal in Keflavik nach Skógar und von da an den Laugavegur gehen, der wohl berühmteste Wanderweg auf Island. Mit ungefähr 80 Kilometern ist die Länge eigentlich noch passabel und durchaus machbar. Die Tücken zeigen sich ganz wo anders: Von Skógar aus gilt es erstmal die Fimmvörðuháls, eine Hochebene auf über 1000 Höhenmeter zu überwinden. Keine leichte Sache bei einer Länge von bloss 12km. Der Pfad soll eher schlecht als recht gekennzeichnet sein. Im Juni ist zusätzlich immer noch mit Schnee zu rechnen. Ausserdem soll die Touristen-Saison dann eigentlich erst richtig anlaufen, es ist also nicht sicher, ob die Routen bereits kontrolliert wurden. Dazu kommen mehrere Flüsse, welche durchquert werden wollen: Einen Fluss Furten? Entschuldige mal, dieses Wort war mir bis vor kurzem nicht mal bekannt. Einigen Berichten zufolge erfordert es einiges an Erfahrung und Kraft, um einen Fluss zu furten. Die Schneeschmelze am Mittag lässt den Wasserpegel nach Belieben in die Höhe schiessen. Somit ist es total unberechenbar, auf was man sich einlässt.
Trotzdem präsentierte ich meine Idee in einem Island-Forum, doch bald wurde meine Unerfahrenheit im Trekking und meine nur vage vorhandene Planung entlarvt, mir wurde auf nette Weise geraten, mir doch eine andere Tour zu suchen. Nebst fehlender Erfahrung auch, weil ich die Route alleine machen würde.
Die einzige Möglichkeit wäre es, den Laugavegur rückwärts zu gehen, um erst gegen Ende der Tour mit dem Hochland konfrontiert zu werden, wenn vielleicht die Wege bereits kontrolliert sind und das Klima sich ein wenig gebessert hat. Doch - was für ein Sommer erwarten die Isländer überhaupt im 2013?
Die Fragen häufen sich also an und die Unwissenheit wächst. All dies gilt es nun in der verbleibenden Zeit zu klären.
Unvorstellbar ist es auch nicht mehr, eine Rundreise zu machen mit dem Bus und jeweils bei ausgewählten Orten Tageswanderungen mit anschliessender Übernachtung durchzuführen. Irgendwie scheue ich mich aber davor, diese 21 Tage genau zu gliedern und jeden Tag einen Plan zu haben, was ich tun werde. Ich würde viel lieber einfach losgehen, und es so nehmen wie es kommt. Ich werde sehen, wohin mich meine Planung führt. Je mehr Wissen ich über Island habe, desto eher kann ich mich in meinen Vorstellungen orientieren.
Ich notiere meine Ziele für diese Woche:
Ich gehe wandern in der Schweiz, mache mich vertraut mit meiner bisherigen Ausrüstung und übe schonmal Zelt aufbauen.
Ich lese einige Tourenberichte und versuche mir ein Bild zu machen über die Realisierung des Laugavegur.
Ich informiere mich über das Bus-Netzwerk und dessen Fahrpläne.