Tag 2
„Wenn wir schon mal hier sind“ könnte das Motto des heutigen Tages lauten. Obwohl wir immer auf der Suche nach Neuem sind, wollen wir natürlich auch Orte anfahren, die wir bereits kennen. Nicht zuletzt erwarten wir im Winter doch andere Stimmungen als im Sommer Womit wir allerdings auch rechnen, ist ein erhöhter Kuschelfaktor auf den Plattformen der großen Drei im Golden Circle. Nicht dass wir etwas gegen Touristen- quasi gegen uns selbst- hätten, doch daheim gehen wir auch lieber an den weniger frequentierten Tagen shoppen. Wir starten mit einem Klassiker-dem Gullfoss. Um dennoch mal eine neue Perspektive zu bekommen, planen wir über die Straße 349, fünf Kilometer Piste sowie anderthalb Kilometer Fußmarsch das Ostufer der Hvítá zu erreichen. So optimistisch der Plan, so weniger überraschend werden wir am Gehöft Tungufell in Form einer Straßenabsperrung und viel Schnee daran erinnert, dass auch hier der Winter die Macht über uns hat. Wir kehren um und freunden uns mit dem Gedanken an uns nun ins Getümmel zu stürzen. Zu unserer Freude sind wir jedoch das einzige Auto auf dem unteren Parkplatz am goldenen Wasserfall. Trotz gefühlter Windstärke zwölf liegt die Ruhe vor dem (Touristen)storm nicht am Wetter, sondern schlicht an der Uhrzeit. Es ist gerade erst zehn Uhr morgens und der Gullfoss liegt noch gut versteckt im Schatten. Optisch also zurückhaltend begrüßt er uns dennoch tosend und sein Dunst weht uns kräftig von vorn ins Gesicht. Das macht das Fotografieren nahezu unmöglich. Mehrmals stemmen wir uns mit aller Kraft in den Gegenwind, zielen kurz und nehmen die Linse wieder aus dem Sprühregen.
Als wir denken eine brauchbare Erinnerung im Bild festgehalten zu haben, schauen wir uns noch kurz das moderne Besucherzentrum an ehe wir Richtung des Ökodorfs Sólheimar abziehen. Da dieses allerdings noch geschlossen hat, entscheiden wir uns Richtung Þingvallatan treiben zu lassen. Bei mittlerweile düsterem Himmel und gelegentlichen Regenschauern nehmen wir dazu die sehr abenteuerliche Straße 351 bevor wir via Straße 360 die westliche Umrundung des Sees antreten. Mit herrlichem Blick zur Rechten genießen wir Meter für Meter bis es kurz hinter dem Kraftwerk Nesjavellir wieder ernst wird. Ein LKW hat sich am verschneiten Hang festgefahren, steht leicht quer und ich habe meine Not mich zwischen ihm und dem Straßengraben durchzuschlängeln. Das Hindernis grad gemeistert machen wir erstmal Mittagspause vor imposanter Kulisse.
Gut gestärkt geht es weiter Richtung Þingvellir Nationalpark, wo wir von der Straße 36 den Weg zum Öxarárfoss antreten. Hatten wir bisher verschiedenste Straßenzustände mit mehr oder weniger Erfolg hinter uns gelassen, so war das die erste Herausforderung für unsere Schuhsohlen, denn auf festgetretenen Schnee geht es erstmal spiegelglatt bergab. Da Madame meiner Empfehlung gleich den Allerwertesten als Fortbewegungsmittel zu nehmen nicht nachkommt, habe ich alle Hände voll zu tun mein an sich sportliches Mädel in den Mitzwanzigern den Berg runter zu bringen. Doch die Mühe hat sich gelohnt.
Nachdem wir sogar für ein paar Sekunden alleine zwischen den Kontinenten laufen konnten, bewundern wir die Schönheit des zugefroren Wasserfalls und die Dummheit mancher Touristen, von denen einer unfreiwillig ins Wasser eintaucht.
Als der Trubel zunimmt verkriechen wir uns und entscheiden uns für einen Zwischenstopp in unserem Hotel. Hier schlecken wir ein hofeigenes EIS und genießen die Vorzüge dieses zwanglosen Reisens. Frei von jeglichen Zeitdruck ist es auch kein Übel einen Weg doppelt zu fahren und so machen wir doch nochmal einen Abstecher nach Sólheimar, wo wir uns im Shop mit handgemachten Mitbringseln eindecken. Weniger ökologisch nachhaltig als in der Kommune geht es an unserem letzten Ziel für heute zu. Das Flüsschen Brúará gewann wegen seines an Einzigartigkeit schwer zu übertreffenden Wasserfalls in den letzten Jahren an Ruhm, bevor es mittlerweile unrühmlich wegen der Touristenflut in den isländischen Medien präsent ist. Wir wollen die Furchen nicht noch tiefer machen als sie ohnehin sind und so liegt unser Fokus auf einer Perle flussabwärts des Brúarfoss. Nach dem Abstellen unseres Autos an der Brücke der Straße 37 laufen wir teils abenteuerlich den Fluss entlang. Dabei erfreut uns neben dem glasklaren Wasserlauf vor malerischer Bergpanorama auch, dass hier schon vor uns ein jemand seine Fußspuren in den Schnee gesetzt hat. Dies macht die Orientierung im isländischen Buschland deutlich einfacher und so erreichen wir ohne uns zu verlaufen schlussendlich den Hlauptungufoss.
Dieser etwa 20 Meter lange Wasserfall dessen Verlauf eher längs als quer zur Fließrichtung ist, wartet mit einem besonderen Highlight auf. An seinem „oberen“ Ende donnert das Wasser stark gebündelt in einen engen Gesteinskanal. Mit Vorsicht kämpfen wir uns auf dem glatten Untergrund an die Fallkante heran, setzen uns und lauschen für Minuten der Gewalt der Natur.
Es ist einer dieser Momente wo sich die Welt nicht mehr zu drehen scheint und du nicht mehr weg willst von diesem Ort, diesem Land, dieser Insel. Beeindruckt und berührt, treten wir den Rückweg an, fahren den einen Kilometer zum Hotel und stopfen unsere hungrigen Mägen als Abschluss dieses ereignisreichen Tages.